Für einen schnellen Happen zwischendurch findet man kaum in die Baiernstraße 52. Wer hierher kommt, sollte seine Sinnesorgane spitzen und sich etwas länger Zeit nehmen.
Temperatursturz, fremde Gerüche, dicke Mauern ohne Fenster, Götter und Hieroglyphen – das ist der Pharaonentempel. Der gebürtige Ägypter Sobhy Ibrahim lebt schon seit vielen Jahren in Österreich; 2001 begann er mit diesem besonderen Projekt der Kulturweitergabe. „Ein halbes Jahr lang haben wir jeden Tag zwanzig Stunden gearbeitet“, beschreibt der nunmehrige Inhaber des Restaurants die Umbauarbeiten. Ibrahims selbst gestellte Aufgabe: Den Grazern ägyptische Kultur und Küche erlebbar machen. Das Ergebnis: Ein Restaurant, das einem Tempel aus der Zeit der Pharaonen nachempfunden ist.
In Zusammenarbeit mit verschiedenen Grazer Künstlern, darunter Andreas Streicher, entstand unter Anleitung Ibrahims ein kleines Gesamtkunstwerk, das wenig mit folkloristischer Pseudo-Ethnoküche zu tun hat.
Zu Ehren der Götter
Ist man als Besucher bereits von der äußeren Fassade einigermaßen beeindruckt, so wird es im Inneren erst richtig authentisch: Zwei lebensgroße „Wächter“-Statuen weisen den Weg zum Entree, wo mit Weihrauch und fremden Düften am Altar den Göttern die Ehre erwiesen wird. Anubus, Totenrichter und Gott der Gerechtigkeit, sorgt in Schakalsform auf der Theke sitzend für Ordnung. Die Augen des Schutzgottes Horus haben das Geschehen von oben im Blick. 500m² Wandreliefs und Malereien, eine mit Blattgold verkleidete Decke und Speisekarten aus Papyrus – faule Kompromisse scheinen Ibrahims Sache nicht zu sein. Wie Herr Begib, ägyptischer Kellner im Restaurant, erzählt, stammen sämtliche Einrichtungsgegenstände tatsächlich aus Ägypten.
Das über drei Ebenen laufende Lokal offenbart bei näherem Hinsehen und mit fachkundiger Unterstützung von Begib jedoch noch einiges mehr an Einblicken in das Land der Pharaonen: Zwischen mittlerer und unterer Etagen befindet sich ein Springbrunnen, der Ober- und Unterägypten mit dem Verlauf des Nils darstellt: „Deshalb fließt das Wasser auch hier bei uns von unten nach oben“, so der Kellner. Eine besondere Deckenmalerei im untersten Raum zeigt farbenfroh den Jahreskreis mit den zwölf Sternzeichen. Diesen gebe es auch im ägyptischen Jahr, wie Begib erzählt: „Im ursprünglichen koptischen Kalender kommt aber noch ein 13. Monat hinzu, weil jedes Monat darin nur 30 Tage hat.“ Die restlichen fünf Tage, die sogenannten Epagomen, werden daher im letzten Monat zusammengefasst. Diese Zeit würden Bauern noch heute, wie schon vor Jahrhunderten, zur Ernte nutzen. Spätestens wenn man diesen Ausführungen lauscht, ist klar, dass ein Gast im Pharaonentempel auch ein wenig über die Geschichte Ägyptens lernen kann – wenn er es will. Auch dem ungestörten Essen steht nichts im Wege.
Hibiskus hebt den Blutdruck
Der Blick in die Speisekarte lenkt von der vergoldeten Innenausstattung durchaus ab. Der ägyptische Küchenchef offeriert traditionelle Küche aus der Heimat: Viel Fisch, Huhn und Lamm, Gemüse als Beilage. „Wir machen außerdem ein Spezialbrot aus Sesam, Schwarzkümmel und Kardamom“, erzählt Begib. Neu für den österreichischen Gaumen sind auch gewürzter, ägyptischer Kaffee und Säfte aus Guave, Hibiskus (soll angeblich gegen zu niedrigem Blutdruck helfen) oder Mango. Nicht alle benötigten Zutaten finde man in Graz, manches komme aus Wien oder von weiter her: „Spezielle Gewürze wie Kardamom oder Kreuz- und Schwarzkümmel bekommen wir direkt aus Ägypten.“
Beim Blick in die kleine Küche zeigt der Koch stolz die gerade gelieferten frischen Goldbrassen und Wolfsbarsche. Diese bekomme man zwei Mal wöchentlich aus Italien, da gebe es keine österreichische Alternative. Viergängige Menüs wie etwa ägyptischer Schafskäse, Linsensuppe, Lammkrone mit Gemüse und als Dessert gefüllte Weinblätter mit Nüssen gibt es ab gut 30 Euro. Der Wein stammt vorwiegend von heimischen Reben aus der Südsteiermark.
Ikonen und Pharaonen
Ikonen und Pharaonen
Satt und zufrieden empfiehlt sich noch ein näherer Blick auf Einrichtungsdetails, die religiöse Reibungsflächen offenbaren: Zwischen all den Götterfiguren und Hieroglyphen ist auch eine kleine Ikonendarstellung zu finden, sowie das eine oder andere christliche Kreuz. Daraufhin angesprochen, erzählt Begib, dass Restaurant-Besitzer Ibrahim, wie auch er selbst, der koptischen Gemeinschaft angehört. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass die Araber erst im 7. Jahrhundert nach Christus nach Ägypten gekommen sind und danach andere Religions-gemeinschaften wie die Kopten zum Übertritt zum Islam bewegen wollten. Auch die arabische Sprache sei innerhalb von zwei Jahrhunderten eingeführt worden. Heute noch würden die Muslime versuchen, die koptische Sprache zu töten: „Aber diese Sprache lebt noch. Sie wurde durch die Gebete in den Kirchen beibehalten.“ Die Lage für die Kopten in Ägypten sei schwierig, der Druck von Seiten der Muslime groß. Begib schätzt die Anzahl der koptischen Ägypter in der Steiermark auf rund 1500. Aber auch muslimische Ägypter würden aufgrund von Armut ihr Glück in Österreich suchen. Wie viele davon in Graz leben, kann er nicht sagen. Denn die Trennlinien sind klar: „Das sind zwei verschiedene Richtungen, auch in Graz. Ich kann nur für die Kopten sprechen.“ Auch in Ägypten hätten sich Muslime und Christen nie vermischt. „Die ägyptischen Christen sind die echten Pharaonen, es ist derselbe Adel“, so Begib. In Graz feiert die koptische Gemeinschaft ihre Sonntags-Gottesdienste in der orthodoxen Kirche in der Wiener Straße. Eine spannende Mischung aus Verehrung der alten Götter und christlichem Glauben, die sich im Pharaonentempel hinter dem Schloss Eggenberg offenbart.
Frischer Wind im Tempel
Frischer Wind im Tempel
Ab Mitte August 2008 wird Ibrahim als Inhaber von Evelyn Liopold abgelöst, die die Bekanntheit des Restaurants steigern möchte: „Das ist das einzige ägyptische Lokal in Graz, und auch in Wien gibt es kaum Vergleichbares.“ Veranstaltungen wie ein Nachmittagstee oder Weinverkostungen schweben ihr dabei vor, die Öffnungszeiten möchte sie ebenfalls erweitern. Aber schon jetzt würden neben den vielen Grazern auch immer wieder internationale Gäste in die Baiernstraße 52 kommen.
Begib erzählt von deutschen Adeligen, Liopold auch von dem ein oder anderen Staatsbesuch, der seinen Weg zum Pharaonentempel gefunden hätte. Sollten diese hohen Gäste ihre Anfahrt von Süden aus gestalten, so präsentiert sich Graz bereits einige hundert Meter vor den Toren des ägyptischen Tempels von seiner ungewöhnlichen Seite:
Ein Verkehrsschild warnt Autofahrer dort vor Eichhörnchen. Wer hier vor wem geschützt werden soll, bleibt zwar offen, aber auch so erweitert ein Blick auf die weniger pulsierenden Adern der Stadt den Horizont.
Fotos: Schuss